– Sudan

Von der Welt im Stich gelassen

Shane Burke, stellvertretender Regionaldirektor des Jesuiten-Flücht­lings­dienstes Ostafrika (JRS), schildert die Verzweiflung Geflüchteter aus dem Sudan. An den Grenzen der eigenen Belastbarkeit begegnen die JRS-Teams Schrecken und Schmerz mit Geduld, Verständnis und Freundlichkeit.

Ich befinde mich in Renk, Südsudan, an einem Ort, der als „Transitzentrum“ bekannt ist: Es ist ein abgeschotteter Platz, der diejenigen aufnimmt, die vor der Gewalt im Sudan fliehen. Der Konflikt schwelt nun bereits seit April 2023.

Ein alter Mann tippt mir auf die Schulter und zeigt auf seinen Knöchel. Dort steckt eine Kugel oder ein Stück Schrapnell. Die Wunde ist mittlerweile trocken. Er muss schon seit einiger Zeit so leben, humpelnd und schweigend. Es ist, als ob er wüsste, dass die Welt das Leiden, das sein Land, der Sudan, wie ein Flächenbrand erfasst, nicht bemerkt. Er weiß, dass die Welt nicht zuhört. Er geht ohne zu klagen davon.
Die Menschheit hat die Menschen im Sudan im Stich gelassen. Die Rechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschen­rechte verankert sind, sind hier nichts als Worte. Artikel 3, das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit einer Person, ist für die Menschen hier ein Märchen. Aus Khartum, aus Darfur, aus dem ganzen Sudan rennen Menschen um ihr Leben, vor Waffengewalt, vor Vergewaltigung, vor Folter. Ihre Welt ist eine Welt aus Angst, Isolation und Verwirrung.

Die Menschen im Sudan wollen ihre Heimat nicht verlassen, ihre Häuser, ihre Freunde, ihre Familie, ihr gewohntes Leben, ihre Zukunft, ihre Hoffnungen, ihre Träume. Aber sie haben keine Wahl.

Sie finden sich in der harten Realität von Renk wieder, wo Nahrungsmittel knapp sind, Krankheiten weit verbreitet, und sich Tausende Menschen ein paar Sanitäranlagen teilen müssen. Und mitten drin rennen und spielen Kinder. Sie haben die Schrecken des Krieges erlebt, sie haben geliebte Menschen verloren, ihr Leben wurde auf den Kopf gestellt, aber sie spielen. Selbst inmitten solcher Tragödien gibt es noch etwas Hoffnung.

Gefangen in der Warteschleife

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter humanitärer Organisationen tun alles, was sie können: unterfinanziert, überarbeitet, überlastet. Aber sie halten durch, versorgen 100 Mal mehr Menschen als die Infrastruktur hergibt. Sie machen weiter, geben einen Funken in die dunkle Verzweiflung. Müde und desillusioniert, aber ebenso stark und leidenschaftlich stehen sie neben Lehrerinnen, Müttern, Fahrern, Studentinnen, Köchen, Menschen aller Lebensbereiche, die jetzt alle gleich sind, alle gemeinsam in dieser Warteschleife gefangen.

Ich habe das Privileg, mit dem Personal des Jesuiten-Flücht­lings­dienstes (JRS) zusammenzuarbeiten, der Menschen in der gesamten Region Ostafrika unterstützt und begleitet. Wer in Renk arbeitet, versteht die Herausforderungen, denen die Menschen gegenüberstehen: Schrecken, Schmerz, Verlust. Der JRS hört den Überlebenden zu, gibt ihnen sicheren Platz, eine Chance zum Durchatmen. Der JRS bietet den Ankommenden psychosoziale Hilfe und Physiotherapie an.

Vor dem JRS-Gelände kommen zwei Frauen mit einem Teenager-Jungen an. Sie sind verzweifelt, er ist erschöpft, er kann nicht gehen. Nach einer langen Reise sind sie im Chaos des Transitcenters gelandet. Die Frauen sind zielstrebig, besorgt um den Zustand des Jungen. Ein Mitarbeiter führt sie ins JRS-Zentrum, einen kleinen, heißen Raum, der sie vorübergehend vor dem Wahnsinn draußen beschützt. Sie erhalten kaltes Wasser und ein freundliches Lächeln. Sie haben einen Moment, innezuhalten. Zumindest für jetzt. Geduld, Verständnis und Freundlichkeit zecichnen das Personal des JRS aus und machen mich stolz, Teil einer solchen Organisation zu sein.

Humanitäre Organisationen an den Grenzen

Ich sitze mit einer Gruppe von Amputierten zusammen, die sich bei 40 Grad Hitze zusammendrängen, schwitzend, aber glücklich zu reden, froh, einen Raum zu haben, um sich auszudrücken, einen Raum, um ihre Probleme zu teilen, etwas Trost fernab der harten Realität zu finden. JRS-Beratungsgruppen fördern die psychosoziale Gesundheit Hunderter Neuankömmlinge in Renk : von Männern, Frauen und Kindern gleichermaßen.

Millionen von Menschen sind im Sudan auf der Flucht, genauso viele sind über internationale Grenzen hinweg in Nachbarländer geflohen, Tausende haben ihr Leben verloren. Und die Zahlen steigen weiter. Diese Menschen wurden ihrer grundlegenden Menschen­rechte und ihrer Würde beraubt.

Die Kapazitäten humanitärer Organisationen werden bis an ihre Grenzen ausgereizt, die Ressourcen sind schnell aufgebraucht. Die Menschen des Sudans, innerhalb seiner Grenzen und in den Lagern jenseits seiner Grenzen, müssen gesehen werden. Ihr Kampf muss bekannt sein. Sie sollten nicht leiden müssen. Um der Menschlichkeit willen dürfen die von dieser Krise betroffenen Menschen nicht vergessen werden.

Shane Burke

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