Anerkennung und Würde als Leitlinien globalen Zusammenlebens: Michael Schöpf SJ zu Gast bei geflüchteten Rohingya in einem Auffanglager in Indonesien.

 – Jesuiten-Flüchtlingsdienst

Strategien gegen die „Erzählung von Hass und Zerstörung“

Der Stopp der US-Entwicklungshilfe ist Ausdruck einer Ideologie des Autoritarismus, der Gleichgültigkeit und einer Logik der Gewalt, die an die Stelle von Solidarität, Gerechtig­keit und Menschenwürde treten. Auch der Fortbestand wichtiger Projekte des Jesuit Refugee Service (JRS) in Krisenregionen weltweit steht auf der Kippe.

Br. Michael Schöpf SJ, int. Leiter des JRS, macht in einem Interview mit dem italienischen Magazin Aggiornamenti Sociali deutlich: „Wir müssen den Menschen klarmachen, dass wir auf dem Weg in eine zerstörerische Welt sind, wenn wir so weitermachen.“ Hier einige Auszüge:

Welche Auswirkungen hatte die Entscheidung der US-Regierung, die Auslandshilfe vorübergehend auszusetzen, auf die Arbeit des JRS?

Die Auswirkungen waren sofort spürbar. Im Fall des JRS betraf die Aussetzung die Finanzierung durch das Bureau of Population, Refugees, and Migration, eine Behörde des US-Außenministeriums. Das Einstellen der finanzierten Projekte hätte bedeutet, Tausende von Menschen im Stich zu lassen – ein Schritt, den wir ethisch für nicht vertretbar hielten. Ganz abgesehen von den rechtlichen Verpflichtungen, die wir gegenüber den Mitarbeitenden dieser Projekte haben.

Aus diesem Grund haben wir einen Notfallmechanismus aktiviert, um diese Aktivitäten so weit wie möglich mit eigenen JRS-Mitteln weiterzuführen – im Rahmen der durch den Notfall gegebenen Möglichkeiten. Derzeit hat die Trump-Regierung nur Notfallprogramme von dem Stopp ausgenommen – jedoch in einem sehr engen Sinne interpretiert: Nahrung, Wasser und eventuell Medizin, aber nicht Bildung oder psychische Gesund­heits­ver­sorgung, die wir als lebensrettende Maßnahmen betrachten.

Wir müssen uns auf ein Szenario vorbereiten, in dem es in vielen Regionen bestimmte lebenswichtige Dienste für Geflüchtete nicht mehr geben wird.

Welche Konsequenzen hat dieses neue Szenario?

Zunächst einmal gehen die Maßnahmen der US-Regierung weit über eine bloße Änderung der Flüchtlingspolitik hinaus. Es wird eine Erzählung des Hasses und der Zerstörung aufgebaut – eine, die eine andere Weltordnung vorsieht, die nicht mehr auf der Würde des Menschen basiert.

Die zweite Botschaft, die diese Politik vermittelt, betrifft das Gemeinwohl, das verschwindet, wenn eine politische Agenda sich ausschließlich auf das eigene Interesse konzentriert – das eigene, das der Familie, der Gemeinschaft, des Landes. Die Anerkennung der gegenseitigen Abhängigkeit, die uns als Individuen und Nationen miteinander verbindet, eröffnet den Weg zu gerechten Beziehungen, die auf gegenseitiger Fürsorge und Versöhnung beruhen – und damit der Vorstellung entgegentreten, dass der „Andere“ ein Feind sei.

Es gibt auch eine dritte Botschaft, die den Multilateralismus betrifft. Nach dieser Agenda bewegen wir uns auf eine Weltordnung zu, die von einer Handvoll autokratischer Führungspersonen bestimmt wird, die untereinander Absprachen treffen. Wenn es keine Beziehungen gibt, die auf gegenseitiger Anerkennung und Würde beruhen, steuern wir bald auf Konflikte zu, die in offene Kriege oder zunehmende Gewalt münden.

Es handelt sich um ein sehr kohärentes Programm: Es verlangt, dass wir alles abschaffen, was Würde, Freiheit und Multilateralismus aufrechterhält, und jede Form von Widerspruch so schnell wie möglich zum Schweigen bringen – bevor die Öffentlichkeit erkennt, was geschieht, und Widerstand leistet.

Welche Art von Antwort ist möglich?

Die Antwort in dieser Situation besteht darin, neue Partner zu suchen – über die traditionellen hinaus – um eine Gegenerzählung zu entwickeln, die darlegt, wie wir in zwanzig Jahren leben wollen. Es ist an der Zeit, dies auszusprechen und eine echte Alternative anzubieten.

Im Jahr 2024 haben wir im JRS einen neuen globalen strategischen Rahmen erarbeitet – in einem breiten Prozess mit unseren Teams sowie externen Beteiligten aus Universitäten, Geberkreisen und anderen NGOs. Wir waren uns einig, dass wir weiterhin auf einem rechtsbasierten Ansatz bestehen müssen.

Wir müssen mit den Gemeinschaften arbeiten und die Selbstständigkeit der Menschen so weit wie möglich stärken, damit sie ihre Zukunft selbst gestalten können. Wenn das Recht den Einzelnen nicht schützt, ist vielleicht eine starke Gemeinschaft die beste verfügbare Option. Wir müssen breitere Bündnisse suchen, die nicht dem Hass verfallen – Bündnisse, die nicht nur NGOs, sondern auch lokale Gemeinschaften, Universitäten und Unternehmen einschließen. Jede andere Strategie, so meine ich, wird nicht die notwendige erzählerische Kraft entfalten, die wir in dieser Phase brauchen.

Welche Schritte können unternommen werden?

Ich glaube, wir müssen den Menschen klarmachen, dass wir auf dem Weg in eine zerstörerische Welt sind, wenn wir so weitermachen. Derzeit werden Geflüchtete oder andere marginalisierte Gruppen unsichtbar gemacht, aber mit dem Zu­sammen­bruch des Multilateralismus wird es bald uns alle treffen – und zwar sehr schnell. Das zeigt sich bereits in den Reaktionen europäischer Politiker.

Meines Erachtens kommt der Kirche dabei eine wichtige Rolle zu, insbesondere im Hinblick auf die beiden größten Herausforderungen unserer Zeit. Die erste besteht darin, eine Gegenerzählung zu entwickeln Die zweite unmittelbare Herausforderung besteht darin, jemanden zu finden, der die Fähigkeit hat, Dialog und Engagement zu fördern, um dieser Gegenerzählung Gestalt zu verleihen.

In dieser völlig neuen Situation können wir keinen Kompromiss mit jenen eingehen, die solche politischen Positionen vertreten. Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass wir „ihre Sprache lernen“ könnten, in der Hoffnung, ihre Meinung zu ändern oder neue Finanzierungen zu sichern. Das wäre extrem unrealistisch und wirft ernste moralische Fragen auf. Wir müssen mit allen verfügbaren Mitteln den Dialog suchen – aber stets auf der Grundlage der Wahrheit.

Ich glaube, die Katastrophe liegt nicht hinter uns – sie liegt vor uns, wenn wir weiterhin die Würde so vieler Menschen leugnen.


Das vollständige Interview mit Michael Schöpf SJ wurde ursprünglich in der April-Ausgabe 2025 von Aggiornamenti Sociali auf Italienisch veröffentlicht.

Unter­stützung für die internationalen Projekte des JRS:

Ihre Spende hilft

Jetzt online spenden

MENSCHEN FÜR ANDERE

Erste Bank
IBAN:AT94 2011 1822 5344 0000
BIC:GIBAATWWXXX

Ihre Spende ist gemäß § 4a Abs 2 Z3
lit a bis c EStG steuerlich absetzbar.
ZVR Zahl 530615772 / SO 1345