Mit Peter Balleis SJ als neuem Präsidenten gibt es viele Ideen und Visionen für das jesuitische Programm, das Hochschulbildung zu Flüchtlingen und Benachteiligten bringt.
Studieren im Flüchtlingslager – unter diesem Titel gab es schon seit 2010 das digitale Bildungsprogramm JC:HEM, ein Zusammenschluss von verschiedenen Jesuitenuniversitäten, das gemeinsam mit lokalen Teams des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) Hochschulkurse zu Flüchtlingen brachte. Über eine Kombination aus Onlinekursen und Präsenzbegleitung konnten so junge Leute in Lagern in Malawi und Kenia oder in Siedlungen in Afghanistan und Myanmar studieren, die sonst niemals Zugang zu einer Universität gehabt hätten.
Im September 2016 übernahm der deutsche Jesuit Peter Balleis SJ, der das Programm als internationaler JRS-Direktor bereits maßgeblich gefördert hatte, als Präsident die Leitung und verlagerte den Sitz nach Genf. In Zusammenarbeit mit der Hochschule für Philosophie der Jesuiten eröffnete in München ein Europabüro. Außerdem änderte sich der Name: Aus JC:HEM wird jetzt JWL. Es steht für Jesuit Worldwide Learning: Higher Education at the Margins – Jesuitisches Weltweites Lernen: Hochschulbildung an den Grenzen.
Neue Zentren im Nahen Osten
„In Zeiten, in denen Menschen in Europa und anderswo neue Mauern errichten, müssen wir aktiv gegensteuern“, betont Pater Balleis. „Schon jetzt studieren bei uns in multi-ethnischen und multi-religiösen Lerngruppen 348 Menschen aus 20 Nationen in sieben Ländern gemeinsam online mit dem Ziel, ein Abschluss-Diplom zu erwerben. Mehr als 3.000 weitere junge Frauen und Männer machen an insgesamt 17 Standorten aktuell Sprachkurse und nutzen berufsbildende Angebote. Wir wollen diese Zahlen noch deutlich steigern.“ So sollen in Erbil und an drei weiteren Orten im Nordirak neue Lernzentren entstehen und eine bestehende Einrichtung im syrischen Aleppo sobald wie möglich wiedereröffnet werden.
Vernetzung in Europa
Das Regionalbüro in München treibt die akademische Vernetzung mit Institutionen in Europa voran und
entwickelt Kurse zu Umweltbildung und Konfliktmediation, zu denen neben der Hochschule für Philosophie auch weitere Universitäten im In- und Ausland Inhalte beisteuern. „Das kann auch für die Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, eine Perspektive werden“, erklärt Pater Balleis. Es ist eine der wichtigsten Erfahrungen dieses Programms, dass das Lernen, die Reflexion und der gegenseitige Austausch sehr rasch Wirkung zeigen: „Die jungen Menschen mit ganz unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergründen tauschen sich im virtuellen Klassenzimmer aus und entwickeln dabei Verständnis füreinander. Sie sehen dann schnell, dass man sogar über Gott anders denken kann, als sie es gewohnt waren. So bekämpfen wir mit Bildung direkt Konfliktursachen und auf diese Weise auch Fluchtgründe.“
Bekämpfung von Fluchtursachen
Der Name JWL wurde gewählt, um damit auch eine neue Strategie auszudrücken: „Was 2012 als jesuitische Initiative in den USA begann, hat sich schnell weiterentwickelt. Zunächst waren wir in neun Ländern tätig, bald wurden es 20. Das Schlüsselprinzip für JWL ist die Zusammenarbeit mit Partnern. Ein entscheidender Schritt ist deshalb der Umzug nach Genf, wo viele internationale Organisationen angesiedelt sind. Wir sind jetzt ein Werk des Jesuitenordens, die Verantwortung liegt bei den drei deutschsprachigen Provinzen. Mit JWL haben wir uns einen Namen gegeben, der zu unserer Vorwärts-Strategie passt. Bei JWL geht es nicht in erster Linie darum, Menschen für Jobs auszubilden, sondern tatsächlich um Higher Education at the Margins, also höhere Bildung an den sozialen Rändern dieser Welt. JWL bietet neben zertifizierten Sprachkursen und Weiterbildungsprogrammen auch Diplom-Abschlüsse, die einem US-amerikanischen Grundstudium entsprechen. Wir holen nicht die Klugen heraus aus ihrem Umfeld und bringen sie an eine Eliteuni. Wir kommen vielmehr direkt zu ihnen, in die Flüchtlingslager, Slums und Dörfer. Was oft gerade Menschen mit Flucht-Hintergrund auszeichnet und geeignet macht, ist ihre Resilienz: Wer alles verloren hat, zeigt mitunter eine ganz andere Bereitschaft durchzustarten. Wir wollen Führungskräfte ausbilden, die in ihren Herkunftsländern bleiben und dort Veränderungen herbeiführen. Wir haben gelernt: Pre-Conflict-Arbeit ist besser als Post-Conflict-Arbeit. Unser Grundsatz ist die ignatianische Pädagogik: Analyse – Reflektion – Handeln.“
Steffen Windschall