– Interview

Interview mit P. Zammit SJ

Bei der letzten Magis Messe war P. Michael Zammit SJ zu Besuch, der über die Arbeit des Jesuiten-Flücht­lings­dienstes in Syrien und dem Irak erzählt hat. Frau Fischer vom „Der SONNTAG“ hat anschließend ein Interview mit ihm geführt, dass am 20.09.2015 im „Der SONNTAG“ gedruckt wurde. Hier das Interview:

SONNTAG: Sie geben alles auf, was sie haben, zahlen Schleppern ihr letztes Geld und fliehen unter Lebensgefahr. Warum riskieren so viele Menschen aus Syrien ihr Leben, um nach Europa zu gelangen?

P. Michael Zammit: Es sind verzweifelte Menschen, die keine Zukunft haben. Das Leben in Syrien wird immer schwieriger. In den Nachbarländern gibt es keine Arbeit und oft auch keine Ausbildung. Sie hoffen auf ein gutes Leben in Europa und tun alles, um aus ihrem Elend herauszukommen. Sie riskieren sogar ihr Leben.

Die EU diskutiert darüber, 100.000 Flüchtlinge aufzunehmen und die Außengrenzen zu verstärken. Was halten Sie davon?

100.000 klingt viel. Aber es ist immer noch sehr, sehr wenig. 2,5 Millionen syrische Flüchtlinge wurden in den Nachbarländern aufgenommen. Zusätzlich gibt es mindestens acht Millionen Binnenflüchtlinge in Syrien. Der Libanon hat mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen – bei vier Millionen Einwohner. Das heißt, jeder Vierte ist ein Flüchtling. 100.000 Menschen für Europa sind also sehr wenig.

Meinen Sie, man sollte die Grenzen öffnen?

Ich denke, es muss eine gemeinsame Bewegung sein, mehr Menschen aufzunehmen. Das Beste wäre natürlich, den Krieg in Syrien zu beenden und das Land wieder aufzubauen, damit die Menschen zurück­kehren können. Das wünschen sich alle. Aber das scheint in den nächsten Jahren nicht möglich zu sein. Deshalb gehen die Menschen woanders hin, wo sie leben können. Sie brauchen Arbeit, sie brauchen eine Zukunft – für sich selbst und für ihre Kinder. Dafür tun sie alles.

Seit mehr als vier Jahren tobt in Syrien der Krieg. Gibt es berechtigte Hoffnung auf ein Ende des Krieges?

Es gibt zwei gegensätzliche Positionen. Die einen sagen, eine Zukunft für Syrien gibt es nur mit dem gegenwärtigen Regime. Die anderen meinen, man kann nicht über Syriens Zukunft diskutieren, solange dieses Regime noch an der Macht ist. Wenn wir in diesen gegensätzlichen Positionen verharren, werden wir keine Fortschritte machen. Es muss gelingen, alle nicht-syrischen Akteure auszuklammern und eine Einigung unter den Syrern zu erzielen. Meiner Meinung nach, ist das der einzige Weg nach vorne. Wenn man aber von Beginn eine Gruppe ausschließt, dann ist jede Diskussion und jede Friedensbewegung zum Scheitern verdammt.

Können der Islamische Staat und andere radikale Gruppen gestoppt werden?

Ich glaube, es herrscht international Übereinstimmung darüber, dass IS gestoppt werden muss, koste es, was es wolle. Der islamische Staat besteht nicht vorrangig aus Syrern, es sind hauptsächlich fremde Kämpfer mit fremden Ansichten. Viele Syrer wollen nicht unter der Herrschaft des islamischen Staates leben. Eher noch würden sie unter anderen bewaffneten Gruppierungen, wie der Freien Syrischen Armee, leben.

95% der syrischen Flüchtlinge wurden in den Nachbarländern aufgenommen, im Libanon, in Jordanien und der Türkei. Wie ist die Lage der Flüchtlinge dort?

Die Menschen dachten, sie könnten nach einem Jahr zurück­kehren. Jetzt sind sie drei Jahre und länger dort. Die Regierungen dieser Länder tun viel, um die Not der Flüchtlinge zu lindern, aber ihre Möglichkeiten sind begrenzt. Es sind so viele Menschen, für sie gibt es keine Arbeit und – trotz Bemühungen – keine ausreichenden Bildungsmöglichkeiten.

Wer auch immer die Region verlassen kann, tut es, egal unter welchen Umständen. Die ersten, die gehen, sind die gut Ausgebildeten, die Wohlhabenden. Schwieriger ist es für die Ungebildeten und die Armen.

Was tut der Flücht­lings­dienst der Jesuiten?

Was wir tun können, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. In Syrien verteilen wir Lebensmittel und betreiben Ausspeisungen: In Aleppo haben wir bis zu 18.000 warme Mahlzeiten pro Tag verteilt, derzeit sind es 8.000. Im Süden von Damaskus versorgen wir täglich 6.000 Menschen.

In Aleppo haben wir auch eine Klinik. Das ist sehr wichtig, denn mehrere Krankenhäuser sind außer Betrieb und viele Ärzte sind geflohen. Unsere Arbeit in Syrien konzentriert sich also im Wesentlichen auf Notfallhilfe.

In den anderen Ländern führen wir die für uns typischen Tätigkeiten als Flücht­lings­dienst der Jesuiten durch: Wir kümmern uns um Kinder, um Ausbildung, wir besuchen Fami­lien, finden heraus, was sie brauchen und versuchen zu helfen.

In mancher Schule fehlt schon ein Drittel der Kinder. Wie ist die aktuelle Lage in Aleppo?

Vor allem Christen verlassen Aleppo. Sie haben Angst davor, was passieren wird, wenn die Stadt in andere Hände fällt. Für die meisten Menschen ist es keine Frage, ob das passieren wird, sondern wann es passieren wird.

Viele Menschen, vor allem Christen, können sich nicht vorstellen, in Landesteilen zu leben, die nicht unter der Kontrolle der Regierung sind. Als christliche Minderheit fühlen sie sich von der Regierung beschützt. Die meisten Christen würden sich ganz bestimmt nicht wohl fühlen, wenn der Islamische Staat in Aleppo eindringen würde. Auch vielen Nicht-Christen ginge es so. Es ist also die Frage, wer in Aleppo einmarschieren wird. Das entscheidet, ob es einen gigantischen Exodus der Bevölkerung geben wird oder einen allmählichen wie schon jetzt.

Was werden Sie selbst tun?

Ich denke nicht, dass wir Jesuiten in Aleppo bleiben werden, wenn der Islamische Staat die Stadt übernimmt. Wenn es andere Mächte sind, werden wir bleiben. Solange noch Christen in der Region sind, werden wir nicht gehen. Ob wir unsere humanitäre Hilfe dann noch leisten werden können, das weiß ich nicht.

Viele Menschen in Österreich wollen den Flüchtlingen helfen. Was wäre Ihrer Meinung nach sinnvolle Hilfe?

Ich denke, es gibt zwei Wege: Der eine ist, die Regierungen Europas zu animieren, Syrien zu schützen, den Krieg zu beenden und die Gesellschaft wieder aufzubauen.

Zum anderen gibt es viele Organisationen wie die Caritas und die Jesuitenmission, die Geld sammeln, um Flüchtlingen zu helfen – gerade auch im Nahen Osten, im Libanon und in Syrien selbst. Das bleibt wichtig, denn wenn es immer weniger im Land gibt, werden immer mehr Menschen versuchen, es zu verlassen. JEDER in Syrien braucht heute Hilfe.

Was die Menschen betrifft, die nach Europa fliehen, so denke ich ist es wichtig, dass wir uns einzusetzen, die Öffentlichkeit mobilisieren und diese Menschen willkommen heißen. Wir müssen uns grundsätzlich daran erinnern, dass Menschen, die ihre Heimat und ihre Häuser verlassen, verzweifelte Menschen sind, die Hilfe brauchen. Die Hilfe, die man leisten kann, hat Grenzen, aber ich denke, wir sind weit entfernt davon, alles zu tun, was wir tun können.

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